Wüstenkick
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Für den Urlaub hatte ich mir mal wieder ein Buch gegönnt. Was Kurzweiliges sollte es sein, möglichst in kleinen Häppchen konsumierbar, weil ausufernde Romane zu lesen derzeit nicht so wirklich funktioniert. Ich hatte mich für das Buch “Die Könige der Welt” entschieden, die Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaften von 1930 bis 2018. Ein Kapitel zu jeder WM, natürlich geht es dort hauptsächlich um Sport, aber eben nicht nur: Auch gesellschaftliche und vor allem politische Aspekte der jeweiligen WM werden kritisch beleuchtet – ein eigenes Kapitel wird dem Fußball-Weltverband gewidmet, der FIFA, die sich seit Mitte der 70er zu einem korrupten Sauhaufen entwickelt hat, deren Protagonisten den Fußball allein zum Füllen der eigenen Taschen ansehen. Dennoch ist das Buch sehr kurzweilig, selbst als “Fußballbelesener” erfährt man noch ein paar unbekannte Details, und ich habe den Kauf absolut nicht bereut.

Interessante Urlaubslektüre

Nun steht die WM in Katar an. Und obwohl seit geraumer Zeit meine Fußball-Euphorie generell ein wenig gesunken ist – und man solche Veranstaltungen allgemein durchaus kritisch sehen kann – wäre eine WM etwas, auf das ich mich freue. Eigentlich. Aber diese?

Bei dieser WM stimmt irgendwie nix: Dass sie im Winter ausgetragen wird, zum Beispiel, weil es im Sommer in der Wüste schlichtweg zu heiß wäre – und trotzdem die Stadien noch massiv runtergekühlt werden müssen. Das trägt ebenso zur verheerenden Klimabilanz bei wie die Tatsache, dass für die “WM der kleinen Wege” die Fans zu jedem Spiel aus umliegenden Staaten eingeflogen werden müssen, weil es vor Ort zu wenig Unterkünfte gibt. Oder dass sie in einem Staat ohne jegliche Fußballkultur ausgetragen wird und einzig und allein Werbezwecken und der Imagepflege – oder besser: Imagerettung – dient, Stichwort Sportswashing. Und letztendlich, dass sie in einem Land stattfindet, dessen System auf Menschenrechte einen ziemlichen Haufen scheißt: Ausländische Angestellte – also fast alle – haben so gut wie keine Rechte, Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern ist Fehlanzeige, Homosexuelle werden ebenso verfolgt und weggesperrt wie politisch Andersdenkende. Und für den Bau der Stadien wurden zigtausende Arbeiter massiv ausgebeutet, eine nicht näher bezifferte Anzahl von ihnen starb. Also letztendlich ist diese Fußball-WM in Katar ein absolutes No Go.

Pomp, Party, Pathos

Dass die WM in diesem Land überhaupt stattfinden kann, war bekanntlich nur mit dem Fluss üppiger Bestechungsgelder möglich. Moralische Entrüstung deswegen wäre allerdings fehl am Platz, auch die WM in Deutschland 2006 – Sommermärchen, you know – wurde sich erkauft. Auch ist es bei Weitem nicht die erste WM, die an einen Staat mit, sagen wir mal, fragwürdigem Verständnis von Demokratie und Menschenrechten vergeben wurde: Russland 2018, aber auch Argentinien 1978 oder bereits Italien 1934 lassen grüßen. Der Versuch, “unter den Augen der Welt” an den Systemen der Länder etwas zum Besseren zu bewegen, war, ganz überraschend, jedesmal kläglich gescheitert: Weder wurde der Faschismus in Italien beendet noch die grausame Militärdiktatur in Argentinien, und Russland… nun ja. Und obwohl sich zuletzt die Situation der Arbeiter verbessert hat – um zu glauben, dass die Kataris plötzlich ihr Herz für Menschenrechte und Gleichberechtigung entdecken, muss man wohl zumindest schwer naiv sein.

Ist doch nur Fußball

Aber wie geht man nun damit um? Die qualifizierten Verbände äußern sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur sehr zögerlich. Die Spieler schweigen sich, von noch weniger Ausnahmen abgesehen, aus. Die Statements aus der Politik sind, je nach Parteibuch und wirtschaftlichen Zwängen, mal mehr, mal weniger entrüstet. Erst in den letzten Wochen wurde der Gegenwind schärfer, aber das kommt natürlich viel zu spät.

Und was machen der Fan und die Fanin? Die Hardcorefans in den Kurven fordern seit langem den Boykott – aber werden sie, wenn denn erst mal angepfiffen ist, wirklich die komplette Berichterstattung ignorieren? Auch äußern viele, auf einen Besuch der WM aus moralischen Gründen oder wegen Sicherheitsbedenken zu verzichten – wobei den meisten das Paket aus Flug, Übernachtungen und Ticketpreisen sowieso zu hoch sein dürfte. Wie also soll man mit dieser WM als Fußballinteressierter umgehen?

Boykott?

Einen guten Kompromiss fanden die Macher meines Lieblingsmagazins, die 11 Freunde: Sie berichten zwar über die WM, auch über die Spiele an sich, thematisieren aber eben auch sehr ausführlich die ganzen Hintergründe. Auch die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten lieferten bereits sehr gute Dokus – die Spiele übertragen sie natürlich trotzdem. Den zuletzt immer häufiger, mal mehr, mal weniger scherzhaft geäußerten Vorschlag, diese in schwarz-weiß auszustrahlen, quasi mit permanentem Trauerflor, dürfte aber wohl nicht ernsthaft ihn Betracht gezogen werden.

Differenzierte Betrachtung bei den 11 Freunden

Tja, und wie gehe ich nun damit um? Einerseits mag ich solche Turniere, andere Spielkulturen und -Systeme, David gegen Goliath und so. Außerdem schaue ich mir einfach gerne spannende, technisch gute Fußballspiele an, und spätestens ab dem Halbfinale könnten die einzelnen Begegnungen in diesem Sinne ja wirklich sehr interessant werden. Andererseits – kann man ernsthaft Spiele dieser WM anschauen? Ginge es nur um das Gemauschel bei der Vergabe – ach herrje, solange Geld einerseits und Gier andererseits da sind, wird es so etwas auch weiterhin geben. Aber wie geschrieben – bei dieser WM stimmt einfach nix. Nun könnte ich mich zwar damit brüsten, auf “Public Viewing” oder den Besuch vor Ort zu verzichten, aber beides wäre für mich sowieso nie ein Thema gewesen. Zumindest ein paar der Spiele werde ich mir wohl im Fernsehen anschauen, ob dann so die klassische, schöne WM-Stimmung bei mir aufkommt, wage ich allerdings zu bedreifeln.

Die nächste WM findet übrigens in Kanada, Mexico und den USA statt – also sofern sich die USA dann nicht gerade in einem Bürgerkrieg befindet. Das Thema Menschenrechte wird dann sicher auf etwas kleinerer Flamme geköchelt, aber vielleicht ist es auch einfach an der Zeit, mal generell über den Sinn einer solchen Mammutveranstaltung zu diskutieren…

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